
„Ein cooles Projekt“

Das erste Mal habe ich von meiner Lehrerin etwas über das Diesterweg-Stipendium gehört. Sie hat mir erzählt, dass die AWO in den Ferien einen Kurs anbietet, bei dem man wie in der Schule etwas lernen könne. Dort würde es aber größtenteils um Nachhilfe und Unterstützung bei den Hausaufgaben gehen. Der Kurs wäre hauptsächlich für Familien mit Migrationshintergrund ausgerichtet und eine gute Leistung in der Schule wurde vorausgesetzt. Nachdem ich ein paar Tage darüber nachgedacht habe, war schnell klar, dass ich gerne an dem Kurs teilnehmen würde, um die Zeit in den Ferien dafür nutzen zu können, ein bisschen mehr zu lernen. Die Voraussetzungen erfüllte ich auch. Meine Eltern waren in Russland geboren und sind als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Gute Noten hatte ich ebenfalls. Ich habe mich dann mit meiner Familie darüber ausgetauscht. Wir fanden das Kursangebot alle sehr interessant und ich habe mich dann direkt beworben. Leider war bei dem Diesterweg-Stipendium kein Platz mehr frei und ich ließ mich auf die Warteliste setzen. Glücklicherweise wollten zwei Kinder dann jedoch nicht mehr mitmachen und ein Platz wurde für mich frei.
Als wir daraufhin einen Brief bezüglich des Diesterweg-Stipendiums erhielten, war die Verwirrung groß. Wir glaubten zunächst, ich müsse ähnlich wie Harry Potter nach Hogwarts von Zuhause ausziehen – auch weil ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Später entpuppte sich das Diesterweg-Stipendium für mich weder als ein Ferienkurs noch als ein Internat wie Hogwarts, sondern als ein neues cooles Projekt, bei dem jeder viel lernen kann: ein zweijähriges Bildungsstipendium beziehungsweise Förderprogramm für talentierte Kinder und deren Familien, zumeist mit Migrationshintergrund. Gefördert wird gezielt beim Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule. Im Fokus standen unsere Stärken.
Wir waren insgesamt dreizehn Stipendiaten. Am Anfang saßen alle Teilnehmer mit ihren Familien in einem Raum und wir sollten erklären, wo wir herkommen. Dazu haben wir Plakate gestaltet. Alle Familien waren nett und ich schloss schnell Freundschaften. Wir trafen uns dann jeden Monat mindestens ein bis zwei Mal, manchmal auch zu Blockveranstaltungen in den Ferien. Das Programm war sehr vielfältig. Einige Beispiele für die tollen Aktionen waren für mich die Zoo- und Theaterbesuche. Dort hatten wir nicht nur Spaß, sondern haben auch etwas gelernt. Bei den Ausflügen konnten wir auch häufig unsere Familie mitnehmen.
Natürlich waren wir nicht nur unterwegs. Beim Diesterweg-Stipendium ging es darum, neue Dinge auszuprobieren und zu lernen und vielleicht sogar ein neues Hobby für uns zu entdecken. Wir konnten unsere Kreativität voll ausleben. So haben wir zum Beispiel einen Glücksvogel gebastelt und Improvisationstheater gemacht, bei dem jeder eine andere Rolle hatte. Bei der Erstellung einer eigenen Zeitung konnte ich mich schon mal als Redakteurin ausprobieren. Wir hatten uns zuvor den Film „Mia und der weiße Löwe“ angesehen. Darin geht es um ein Mädchen, das viel Einsatz und Mut beweist, um einen weißen Löwen vor Trophäenjägern zu retten. Wir waren alle berührt und ergriffen von dem Film und haben danach viel über das Thema Tierschutz geredet. In der Schule habe ich schon einmal ein Referat über den Eisbären gehalten. Er steht auf der roten Liste bedrohter Tierarten. Deshalb wollte ich auch meinen Artikel in der Zeitung über den Eisbären schreiben.
Auch unseren Eltern haben die zwei Jahre beim Diesterweg-Stipendium viel Freude bereitet. Sie haben viele Tipps und Ratschläge bekommen, zum Beispiel zu den deutschen Strukturen, welche Freizeitmöglichkeiten für Familien es gibt oder auch wie man Sprachbarrieren abbauen kann.
Der krönende Abschluss des Diesterweg-Stipendiums war eine große Feier, bei der uns so einiges geboten wurde. Leckeres Essen und gute Musik haben das letzte Beisammensein zu einem perfekten Abend gemacht. Das Highlight der Abschlussfeier war ein von uns Kindern gedrehtes Video. Wir wollten uns damit für die tollen Ausflüge, die Lerninhalte, den ganzen Spaß und vor allem auch für die großartige Organisation von Greta Bielefeld bedanken. Es war auch ihr erstes Jahr, aber man merkte das überhaupt nicht, weil alles nach Plan lief und gut organisiert war. Für den ganzen Aufwand wollten wir einfach mal Danke sagen. Während der Ausstrahlung hatten viele der anwesenden Kinder und sogar auch einige Eltern Tränen in den Augen, weil allen bewusst wurde, dass nun eine schöne Zeit zu Ende geht.
Ich hätte gerne noch ein Jahr drangehängt, aber das ging leider nicht. Vielleicht hat meine jüngere Schwester Annabell Glück und ergattert einen der begehrten Plätze des Diesterweg-Stipendiums. Wir haben eine Menge Neues gelernt, Kontakte geknüpft und unseren Horizont erweitert, sodass wir die Zeit des Diesterweg-Stipendiums sehr vermissen werden.