
„Ein dominierender Bestandteil meines Lebens“

Vielleicht war es frühkindliche Prägung. Vielleicht Schicksal. Zufall. Oder etwas ganz anderes.
Zumindest habe ich meine Kindheit im Kindergarten der AWO in Hannover in der Elmstraße in guter Erinnerung behalten. Die Erzieherinnen waren nett, aus dem Kassettenrekorder am Sandkasten dröhnte Nena und ich konnte durch die Schrebergärten von zuhause aus in meine Kita gehen. Wie das in Hannover Anfang der 80iger Jahre eben so war.
Als ich knapp zwanzig Jahre später Mitglied der AWO wurde, geschah dieses mit leichtem Nachdruck. Die Grande Dames der AWO in Langenhagen schoben mir auf einer Versammlung meiner Partei (der SPD) ein Eintrittsformular der AWO rüber. „Gehört beides zusammen“, lächelten mich Anneliese Rudolph und Waltraud Krückeberg an. Klang irgendwie logisch. Wie die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft. Die Dreifaltigkeit. Auch wenn die Anwerbung etwas Forderndes in der Stimme und etwas Erwartungsdruck hatte, ich wurde gerne Mitglied. Dabeisein war ein gutes Gefühl.
Mein erstes Ehrenamt für die AWO kam erst etliche Jahre später. Im Vorstand des Bezirks Hannover kämpften wir gegen die drohende Insolvenz, hartleibige Banken und fehlende Strukturen. Ein Sprung in eine unbekannte Galaxie. Gefühlt lernte ich in dieser intensiven Zeit jeden Winkel der AWO kennen und war vollkommen geplättet, welche ungeahnten Ausmaße ein Ehrenamt einnehmen kann. Die AWO wurde ein dominierender Bestandteil in meinem Leben, der oftmals mehr Aufmerksamkeit als mir nahestehende Menschen bekam. Der Aufwand lohnte sich. Gemeinsam bekamen wir den Tanker wieder auf Kurs.
Fast mehr als vierzig Jahre nach dem Beginn meiner unbeschwerten Kita-Zeit mit der AWO bin ich heute hauptamtlicher Mitarbeiter in diesem Verband. Ob meine Erzieherinnen das geahnt hätten? Oder ob Anneliese und Waltraud bei meiner Anwerbung so ein Gefühl hatten. Egal. Ich habe diesen Weg nicht vorhergesehen.
Und nun? Im Jahr des 100jährigen Jubiläums der AWO darf ich für einen Wohlfahrtsverband arbeiten, der einzigartig ist. Ich darf einen Teil des Vermächtnisses von Marie Juchacz, Lotte Lemke, Margarete Hofmann oder Kurt Partzsch weiterführen. Für einen Verband arbeiten, der in seiner 100jährigen Geschichte seinen Namen niemals ändern musste und seine Grundwerte nie aufgeben hat. Trotz Nationalsozialismus und Kapitalismus. Ein Verband, der bei seiner Tradition die Zukunft nicht aus dem Blick verloren hat. Ein Verband, der für mich nun mehr als Nena, Dreifaltigkeit oder eine ferne Galaxie ist.
Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz sind unsere Grundwerte und leiten uns im täglichen Handeln. Und das nicht nur als Wohlfahrtsverband mit bundesweit 330.000 Mitgliedern, 65.000 ehrenamtlichen Mitarbeitenden und mehr als 13.000 Einrichtungen, die soziale Dienstleistungen für viele Menschen erbringen. Sondern auch als Arbeitgeberin für 220.000 hauptamtliche Mitarbeitende. Einer davon darf ich sein.
Tradition verpflichtet. Wir sind ein wertegebundenes Unternehmen. Sperriges Wort. Klingt nach etwas Patina und Staub. So wie Daseinsvorsorge oder Subsidiarität. Das natürliche Feindbild von McKinsey, Boston Consulting oder anderen hippen Unternehmensberatern. Doch sind faire Löhne, Tarifbindung, betriebliche Mitbestimmung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mehr wirklich altbacken? Oder sind sie nicht topaktuell? Ist die Arbeit für Kinder, Familien, Menschen mit Behinderungen, Geflüchtete und Ältere nicht eine mehr als sinnstiftende Betätigung? Ist die Arbeit für einen gemeinwohlorientierten und gemeinnützigen Verband nicht eine Bereicherung? Der Mensch im Mittelpunkt und nicht die Kapitalmarktrendite? Die Tätigkeit für einen Verband, der auf ganz besondere Weise Ehren- und Hauptamt in Einklang bringt? Ist Beteiligungsorientierung auch für innere Prozesse mit einer lebendigen Diskussionskultur nicht eine Bereicherung?
Ich glaube ja. Und deshalb fahre ich jeden Morgen zu meiner AWO mit dem guten Gefühl: Heute wird die Welt wieder etwas besser. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz sind dafür ein gutes Fundament und mein Nordstern.