„Ein wichtiger Bestandteil meiner Familie“

„Ein wichtiger Bestandteil meiner Familie“

Nicole Krüger

Tatsächlich waren für mich die Grundwerte der AWO bereits in die Wiege gelegt wurden. Meine Oma, Elfriede Döler war Ratsfrau der Landeshauptstadt Hannover von 1946 bis 1972 und Mitglied in vielen Ausschüssen und Kommissionen, die alle zur Aufgabe hatten, die Lebensqualität der Menschen nach dem zweiten Weltkrieg zu verbessern und insbesondere auch für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit zu sorgen. Ihr Engagement galt insbesondere der Kriegsopferfürsorge. Sie war in der SPD, im Reichsbund (dem heutigen SoVD) und in der AWO organisiert.

Es war für mich schon früh klar, mich ebenfalls zu engagieren. Zunächst wollte ich in meinem eigenen Sport Jugendliche trainieren. Doch eine Erkrankung 2005 machte dieses und meine beruflichen und sportlichen Ziele zunichte.

Es dauerte dann zunächst drei Jahre bis ich eine richtige Diagnose erhielt und noch länger bis mir bewusst war, dass mein bisheriges Leben so nicht mehr weitergehen würde. Ich war an einer schweren unheilbaren chronischen neuroimmunologischen Krankheit erkrankt. Das hieß leider auch, nicht mehr über die Kräfte zu verfügen, die man als gesunder Mensch als Selbstverständlichkeit ansieht. Auch ich glaubte bis dahin, dass ich alles überwinden könnte, wenn ich mich nur genügend anstrenge. Doch die „Trauerzeit“ hatte ich irgendwann überwunden. Mir war schnell klar, dass ich genau in diesem Bereich im Rahmen meiner Möglichkeiten eine neue Betätigung schaffen könnte, um mich zu engagieren.

Erst nach und nach wurde mir bewusst, wie dringend dieser Bereich Menschen benötigt, die Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit nicht nur als Worthülsen sahen, sondern gewillt waren diese als gelebte Kultur umzusetzen. Zu dieser Zeit wurde ich auch Mitglied in der AWO.

Ich machte mich auf die Suche nach Menschen, die zunächst in meinem Sinn (ich war zu der Zeit zu krank) und später zusammen mit mir etwas verändern wollten. So startete ich zusammen mit anderen das Projekt „Gründung einer eigenen Stiftung“. Warum dieser Bereich so dringend auf die Grundwerte unserer Gesellschaft angewiesen ist, möchte ich kurz mit den folgenden Zitaten andeuten:

„Ich denke, einige Leute sind aus gutem Grund wütend. Diese Krankheit hat nicht genug Aufmerksamkeit bekommen.“ Vicky Whittemore (NIH/USA)
Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg äußerte sich bei ihrem Besuch einer norwegischen Patientenorganisation am 21. Januar 2015 , dass ME-Patienten sehr stark durch das Gesundheitssystem über die Jahre vernachlässigt wurden und äußerte weiter, dass dies nicht fortgesetzt werden dürfe. Und in einem Fernsehinterview sagte sie: „Wir hatten dieser Gruppe nichts zu bieten, und sie sind im Gesundheitswesen auf Fahrlässigkeit gestoßen. Denn es gab viele Vorurteile gegen diese Krankheit. Den Patienten wurde mangelnder Respekt entgegengebracht, nur weil wir nicht genug Wissen hatten. Das Schlimmste ist, dass wir auch nicht sehr hart gearbeitet haben, um dieses Wissen zu erlangen. Es ist wichtig, dass das Gesundheitssystem die Forschung über ME zu einer Priorität macht.“

Bis heute erleben Menschen mit dieser Krankheit Stigmatisierung, Traumatisierung und Mangelversorgung. Die weltweite Forschung ist bis heute unterfinanziert und wird oft aus eigenen Mitteln der Betroffenen selbst aufgebracht. Der Mangel an Versorgung und das fehlende Wissen bei deutschen Ärzten ist so groß, dass meine Stiftung nur mit langem Atem Fortschritte in der Verbesserung der Versorgungssituation erzielen kann. Wir spüren langsam, dass sich nach und nach unsere Erfolge auch potenzieren. Doch wir haben noch einen anstrengenden und langen Weg vor uns. Insbesondere die Lage der Betroffenen hat sich bis heute nicht wesentlich geändert. Trotz krankheitsbedingter Folgen müssen die Betroffenen um jeden Anspruch bei Rente, Krankenversicherung aber auch in der Pflege und um Hilfsmittel kämpfen. Angehörige fühlen sich oft vom Gesundheits- und Pflegesystem im Stich gelassen. Es fehlt an Anlaufstellen und Beratern.

Trotz dieser Unzulänglichkeiten gibt es eine große Solidarität unter den Betroffenen selbst. Meine Stiftung lebt zumeist von den Spenden und Initiativen von den selbst Erkrankten und deren Angehörigen. Dadurch können wir unter anderem junge Wissenschaftler fördern, die in diesem Bereich forschen und erste klinische Anlaufstellen im Aufbau unterstützen. Derzeit planen wir den Aufbau eines ersten Beratungszentrums in Hannover.

Es gibt noch viel zu tun. Da viele in meiner Stiftung selbst erkrankt sind oder erkrankte Angehörige pflegen müssen, können wir selbst nur mit begrenzten Kräften handeln. Doch in der Stiftung werden Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, wie in der AWO gelebt, und die Engagierten erfahren große Dankbarkeit für ihre Arbeit.

Herzlichen Glückwunsch zu 100 Jahre AWO, sie ist schon sehr lange ein wichtiger Bestandteil in meiner Familie.