Eine bunte Tüte Arbeit

Eine bunte Tüte Arbeit

Tanja Holzheimer

Seit über 20 Jahren arbeite ich bei der AWO und habe es nicht einen Tag bereut – angefangen hat alles als Berufspraktikantin im Flüchtlingswohnheim der Haltenhoffstraße und nun bin ich seit 17 Jahren dem Wohnen für alleinerziehende Mütter/Väter und Schwangere in Vinnhorst treu. Seit fünf Jahren leite ich die stationäre Jugendhilfeeinrichtung. 

Hier spielen sich die kleinen und großen Dramen des Lebens jeden Tag aufs Neue ab. Verschiedenste motivierte und vom Leben oft beanspruchte Mütter, Väter oder Schwangere leben bei uns, die versuchen, mit der Hilfe meines sozialpädagogischen Teams ihr Leben mit Kind wieder auf eine rote Linie zu führen und für sich eine Perspektive zu erarbeiten.

Da gibt es die freudigen Momente in der Arbeit: die Geburt und eine glückliche Mama, bewilligte Anträge, ein gelungener Termin beim Familiengericht, ein fürs Kind schöner Umgangskontakt mit dem anderen Elternteil, eine positive Schuldenregulierung, ein ergatterter Krippen- oder Kitaplatz, eine Ausbildungsplatzzusage, eine Therapieplatzzusage, eine gestärkte emotionale Bindung zwischen Mutter/Vater und Kind, eine stabile Psyche, ein strukturierter Haushalt, ein in Erinnerung bleibender Kindergeburtstag, das jährliche Sommerfest, die Weihnachtsfeier, ein gemeinsam mit den Familien gestalteter „Tag der offenen Tür“ oder das tägliche reflektierende Gespräch zwischen uns und den Familien. 

Und es gibt die herausfordernden Momente in der Arbeit: Auffälligkeiten in Vorsorgeuntersuchungen der Kinder, persönliche Instabilität der Mutter/des Vaters, Absage eines Integrationsplatzes in der Kita, Streit um das Sorgerecht, Nichterscheinen zu Gesprächsterminen, Inpflegegabe eines Kindes, Beendigung einer Jugendhilfemaßnahme, fragwürdiger Umgang mit dem Kind, Zustellung eines Strafbefehls, Scheitern des Abzahlens von Schulden, Uneinsichtigkeit in der Erledigung des Haushalts oder auch Schwierigkeiten im Erlernen von sozialen Kompetenzen. 

…und dann gibt es noch die skurrilen, kuriosen oder auch stillen Momente in der Arbeit, die immer im Gedächtnis bleiben: Die Mama mit zwei Kindern auf Mallorca, die lange gespart hatte um sich diese Woche zu leisten und nicht zurückkommen konnte, weil sie im Hotel die Telefonrechnung von 40 Euro am letzten Tag nicht mehr zahlen konnte und erstmal von uns ausgelöst werden musste – die junge Mama, die ihren Ausbildungsabschluss als Bestatterin geschafft hat – die Mama, die gerne kunstvolle Torten backte – der  Papa, der vor Stolz platze als seine Tochter aufs Gymnasium kam – die Taufen und Hochzeiten, die gefeiert wurden mit Kartoffelsalat, Würstchen und Bierzeltgarnitur im Garten – der Einzug der Mama mit zwei Kindern mit Hilfe von drei Einkaufswagen und fünf Punks – der unangemeldete Übernachtungsgast, der sich in einem weißen Jogginganzug zwischen einem Wäscheständer mit weißen Bettlaken versteckt hielt und doch gefunden wurde ­–die ersten Schritte der bereits Eineinhalbjährigen, die grenzenlose Freude auslösten –und und und.

Insgesamt ist diese Arbeit jeden Tag wie eine bunte Tüte, die täglich aufs Neue die Werte der AWO widerspiegeln und die ich noch lange genießen möchte.