
Ralf reicht’s

Die Eierschalen knirschen unter ihren Knien. Ein ungeduldiger Geschäftsmann mit Smartphone am Ohr grummelt vor sich hin, während er sich an ihr vorbei durch den engen Gang schiebt. Das Baby der Frau weiter hinten schreit unablässig, das Handy in der Jackentasche klingelt nun schon zum zweiten Mal: Pauline sieht sich einer hoffnungslosen Situation ausgesetzt. In all dem Trubel fällt ihr Blick auf den maßlos überforderten Ralf, der in seinem E-Rollstuhl vor ihr sitzt und sich furchtbar aufregt.
Es ist ein Donnerstagmittag im Spätherbst. Pauline hat sich gemeinsam mit Ralf auf den Weg zu Penny um die Ecke gemacht, um für das geplante Mittagessen mit der ganzen Gruppe einzukaufen. Die 18Jährige gehört einer gemeinnützigen Gesellschaft für Behindertenarbeit in Hannover an, die sich um gesellschaftliche und soziale Integration von Menschen mit Behinderungen kümmert. Um vor ihrem Psychologie-Studium eigene Erfahrungen zu sammeln, leistet sie dort einen Bundesfreiwilligendienst und hat vorwiegend mit Menschen wie Ralf zu tun.
„…verstehst du, was ich meine?!“, fragt er mit Nachdruck. „Die planen ihren Laden, ohne an uns zu denken! Ist doch klar, dass ich hier stecken bleibe, wenn der Kassenbereich so zugebaut ist! Ich kann noch nicht einmal meinen Einkauf anständig aufs Band legen.“ Der Eierkarton liegt aufgeplatzt auf den Fliesen, die Tomaten kullern vor die Füße der Wartenden in der Kassenschlange. Ein Jugendlicher mit Skateboard drängelt sich ungeniert vor und zahlt seine Red Bull-Dosen und Kaugummi ohne die beiden zu beachten. Paulines Handy klingelt abermals. Das wird die Gruppenleiterin sein, die sich wundert, wo die beiden denn bleiben.
Pauline atmet tief durch und versucht sich auf das Wesentliche zu besinnen. Ralf ist hier das Wesentliche, wütend und missverstanden, für den ein eigentlich alltäglicher Einkauf zur Geduldsprobe wird, aber für den sich fremde Passanten keine Zeit nehmen wollen.
„Anders“ sein als alle anderen hier im Laden ist manchmal ganz schön schwer. Obwohl heutzutage Worte wie Inklusion immer wieder fallen, wird durch solche Situationen deutlich, dass es an deren Umsetzung hapert. Menschen mit Herz wie Pauline helfen mit ihrem sozialen Engagement aus unserer Gesellschaft eine bessere zu machen. Denn dies ist die Voraussetzung für ein empathisches und harmonisches Miteinander, in dem niemand benachteiligt oder ungerecht behandelt wird.