
Sein größter Wunsch

Die alte JU52, eine wiederaufgearbeitete Version des ersten Verkehrsflugzeuges der Deutschen Luft Hansa AG aus dem Jahr 1932, zieht gemächlich dröhnend am Steinhuder Meer vorbei. Richtung Ost gen Langenhagen steuert der Pilot die Maschine und setzt langsam zum Landeanflug auf die Bahn 09R an. Die Passagiere sitzen noch ganz entspannt auf ihren Sitzen, denn sie haben einen netten kleinen Rundflug hinter sich; am Mittellandkanal entlang mit einem Schlenker über Sehnde um dann über Hildesheim und den Deister wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Und da dieses Flugzeug die Möglichkeit bot, konnten sie dem Piloten und seinem Helfer immer über die Schulter nach vorne aus dem Cockpit schauen. Jetzt werden die Landeklappen ausgefahren und mit dem Steuerknüppel wird die Nase der Maschine nach unten gedrückt. „Geschwindigkeit zurücknehmen, langsamer sinken“ gibt der Kopilot an. Mit einem Rumms setzt die alte Kiste auf, schlingert etwas über die Piste und kommt dann auf dem angrenzenden Rasen zum Stehen. Beifall brandet auf und der Pilot wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er hat es geschafft, die Passagiere wieder heile runter zu bringen.
Das alles hat stattgefunden im Juni 2017 im Gruppenraum der AWO Residenz in Sehnde. Pilot war der 94 jährige Georg Wilhelm Frie. Ich freute mich mit ihm, dass ich seinen größten Wunsch erfüllen konnte, nämlich einmal eine JU52 zu fliegen.
Als begeisterter Hobbyfotograf hatte ich im Jahr zuvor begonnen, Portraits von Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern für eine Ausstellung zu „schießen“. Und dabei kam ich auch mit den Porträtierten ins Gespräch. Um ein ausdrucksstarkes Bild abzulichten, genügt es nicht Zeit und Blende einzustellen und auf den Auslöser zu drücken. Für mich gehört es dazu, sich mit der Person zu unterhalten, etwas aus dem Leben zu erfahren, dass diese Spuren im Gesicht hinterlassen haben. Und so habe ich mich auch mit Georg Wilhelm unterhalten.
Er ist in Sehnde aufgewachsen und schon als kleiner Junge hat ihn das Fliegen in seinen Bann gezogen. Früh hat er viel Zeit und Kraft geopfert, um dabei sein zu können und keine Anstrengung war ihm zu groß. An einem Hang bei Hildesheim begann seine fliegerische Laufbahn als Segelflieger und die schweren Maschinen mussten immer wieder den Hang heraufgezogen werden, wenn man mal fliegen wollte. Als er schon Lehrling war, konnte er auch zu Lehrgängen an die Segelfliegerschule nach Hamburg Fischbeck fahren. „Morgens um fünf ging es im Sommer raus zum Frühsport, dann Waschen und Kaffeetrinken und ab zum A-Hang wo jeder mal anfangen musste. Und, wenn die erste Prüfung geschafft war, kamen die Kameraden zur Gratulation. Da wurde der Kopf zwischen die Beine gedrückt und jeder gratulierte mit einem kräftigen Schlag auf das Hinterteil. Im nächsten Sommer habe ich in Bremen dann meinen B-Schein gemacht und zum Schluss mit einem Leistungssegler den C-Schein. Das war schon ein großartiges Gefühl“, so schwärmt Georg Wilhelm Frie noch heute,
Als er dann zur Wehrmacht eingezogen wurde, habe er natürlich sofort an die Luftwaffe gedacht, aber es kam leider alles ganz anders. Stalingrad hat die Wende gebracht und die Soldaten wurden an der Ostfront gebraucht. Verwundung und Flucht vor dem Feind; Herr Frie hat alles mitgemacht. In den letzten Tagen sollte er noch als Fallschirmjäger einspringen, aber der Stabsarzt hatte ein Einsehen mit ihm, als er die ganzen Verwundungen gesehen hatte.
Nach dem Krieg war zunächst nicht ans Fliegen zu denken. Motorradsport und Aschenbahnrennen; auch den legendären Hans Zierk hat er persönlich kennengelernt. Geflogen ist er später auch noch mal mit einer kleinen einmotorigen Maschine, aber sein großer Traum ist nach wie vor die JU52, wie er mir mit leuchtenden Augen versicherte.
Und dann reifte bei mir der Gedanke: Schorse sollte seine JU52 fliegen. Ich installierte den MS Flugsimulator auf meinem Notebook, suchte und fand im Internet eine JU52 und brachte meine Idee in die AWO Residenz. „Kein Problem, wir bauen im Gruppenraum unseren Beamer auf, installieren Lautsprecher und laden die Bewohner zum Rundflug ein“. Und so kam es, dass Schorse eine kurze Einweisung am Steuerknüppel erhielt und er die JU52 zu diesem denkwürdigen Rundflug startete. Später gab es noch einen zweiten entspannten Flug mit einem Hochleistungssegelflieger auf dem Simulator. Auch das hat ihm viel Spaß gemacht.