Warum mir die Grundwerte so wichtig sind…

Warum mir die Grundwerte so wichtig sind…

Burkhard Teuber

Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, warum ich die Grundwerte der AWO so wichtig finde? Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich mein ganzes Leben lang von diesen Werten begleitet wurde.

Ich bin in einem kleinen Dorf im Schaumburger Land aufgewachsen. Meine Eltern waren schlesische Flüchtlinge, die es nach dem zweiten Weltkrieg in das protestantische Niedersachsen verschlagen hatte. Mein Vater wurde im zweiten Weltkrieg noch eingezogen und wurde als Soldat an die russische Front geschickt. Später wurde er durch einen Granatsplitter verletzt und kam in russische Kriegsgefangenschaft. Er hat mir einmal erzählt, dass er im Gefangenenlager verhungert wäre, wenn die Wachen es nicht toleriert hätten, dass sich die deutschen Gefangenen ab und zu an der Rübenmiete auf dem benachbarten Feld bedienten. Und wenn der Bauer aus der Nachbarschaft nicht ab und zu einige Laib Brot über den Zaun geworfen hätte, hätte er nicht überlebt. Als er zurückkam, hatte sich seine Meinung über den angeblich russischen Feind grundlegend geändert.

In der Grundschule war es bei uns durchaus noch üblich, dass der Lehrer die Kinder mit dem Zeigestock schlug. Einmal hat er seinen eigenen Sohn, der bei mir in der Klasse war, so verprügelt, dass die einzelnen Fasern des Fiberglasstabes quer durch die Klasse flogen. Als es mich einmal getroffen hatte, sind meine Eltern zu dem Lehrer gegangen. Ich weiß bis heute nicht, was sie ihm erzählt haben, aber seitdem wurde ich von der Züchtigung ausgenommen und ich musste auch nicht mehr in der Ecke stehen.

Ich komme aus einer katholischen Familie. Daher war es bei uns auch üblich, jeden Sonntag zusammen mit den Eltern und älteren Geschwistern in die Kirche zu gehen. Schon mit neun Jahren hatte ich beim Kommunionunterricht allerdings Zweifel am Verhalten unseres  Pfarrers. Bei ihm war es „normal“, die Kinder mit der Bibel auf den Kopf zu schlagen, wenn sie nicht aufpassten oder frech waren. Das ging solange gut, bis einer meiner Freunde einmal zusammenbrach. Offensichtlich hatte er eine Gehirnerschütterung. So ein Mensch sollte ein Vertreter Gottes auf der Erde sein und mir später im Beichtstuhl die Sünden vergeben, hier konnte etwas nicht stimmen!

Mit 15 habe ich dann eine Lehre begonnen. Ich hatte nur einen Hauptschulabschluss. Mein bester Freund lernte Autoschlosser, also habe ich mich entschieden, Elektriker zu werden. Schließlich hatte ich schon immer gerne gebastelt, auseinandergenommen und repariert, was mir in die Finger kam. Gleichzeitig war ich alt genug, um mich aus der Kirche zu verabschieden. Ich schwänzte also am Sonntagmorgen die Kirche und ging stattdessen lieber zum Jugendzentrum. Da ich dann immer der Erste war, bekam ich auch bald den Schlüssel in die Hand gedrückt.

Mit 16 wurde ich dann dort in den Vorstand gewählt. Ab und zu kamen auch die Kommunalpolitiker vorbei, vor allem aber lernte ich viele andere Jugendliche kennen. Diese kamen oft auch aus Akademikerfamilien. Wenn ich sie fragte, was sie später einmal machen würden, antworteten sie, dass sie entweder Ingenieur, Arzt oder Architekt werden wollten. Das waren natürlich berufliche Träume, die ich ernsthaft nie in Erwägung gezogen hatte. Meine Eltern waren schließlich Handwerker und dass Kinder aus Handwerkerfamilien Abitur machten und studierten kam zu der Zeit noch nicht so oft vor.

Schnell merkte ich aber auch, dass diese Jugendlichen nicht schlauer oder dümmer waren als ich selbst. Es gab nur einen Unterschied: Sie kamen aus wohlhabenden Familien, in denen es üblich war, einen guten Schulabschluss zu haben.

Noch während meiner Lehrzeit ergab sich für mich dann die Chance, zunächst meine mittlere Reife und dann auch das Fachabitur nachzuholen. Irgendwie schwappten also die Errungenschaften der 68er Jahre auch in meinen Nahbereich. Unter der Kanzlerschaft Willy Brandts wurden Anfang der siebziger Jahre die Gesetze geändert. Der „zweite Bildungsweg“ wurde salonfähig. Man konnte jetzt das Abitur nachholen und mit der Einführung von BAföG wurde sogar eine finanzielle Unterstützung vom Staat für ein späteres Studium zugesichert.

Natürlich gibt es noch viele andere einschneidende Erlebnisse in meiner Kindheit und Jugend, die mich zu dem gemacht haben der ich heute bin. Wenn ich aber zurückdenke, so ist es doch gar nicht so verwunderlich, dass ich später Sozialarbeit studiert habe und mir die Grundwerte der AWO bis heute so wichtig sind.